Philip K. Dick – Entropie

Exhibit Entropy

by on Mai.06, 2009, under Allgemein

„You’re nothing but a minor bureaucrat in a vast machine. You’re a function of an impersonal culturual totality. You have no standards of your own. In the twentieth century men had personal standards of workmanship. Artistic craft. Pride of accomplishment. These words mean nothing to you. You have no soul – another concept from the golden days of the twentieth century when men were free and could speak their minds“

(George Miller in „Exhibit Piece“)

Der folgende Blogeintrag bezieht sich auf die Geschichte „Exhibit Piece“ von Philip K. Dick aus dem Jahr 1954.

Die Geschichte beginnt im 22 Jahrhundert – in den USA hat eine dystopische Gesellschaftsordnung einzug gehalten, die von einer Zentralregierung die alles und jeden kontrolliert und reglementiert beherrscht wird. Wir begegnen dort zu Beginn einem Mann namens Miller der Angestellter im Amt für Geschichte, verantwortlich für die Abteilung „Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts“, ist. Miller ist so sehr eingenommen von dieser Zeitperiode, von der Freiheit und den Möglichkeiten die es damals gab, daß er sich so benimmt, kleidet und auch spricht wie mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in den USA. Als er bei der Analyse von Bändern, Stimmen aus der Nachbildung seines Exponates, einem typisch amerikanischen Haus aus dieser Zeit, hört, überquert er eine Absperrung und findet sich in einer anderen Welt wieder, einer Welt wie er sie sich vorgestellt hat. Er findet dort (s)eine Frau, zwei Kinder, einen anderen Job und vielmehr noch – Erinnerungen an dieses Leben, die, je länger er dort verweilt, immer stärker werden. Er ist verwirrt, verunsichert und sucht daraufhin eine Psychiater auf, Dr. Grunberg, der ihm nach einem intensiven Gespräch rät, diese Realität als real zu akzeptieren. Grunberg fordert ihn auf, die Stelle zu suchen wo er von seiner vermeintlichen Realität in diese Realität gekommen ist. Miller tut dies und findet dort einen flirrenden Schleier vor – dahinter erkennt er Personen aus seiner anderen Realität die beginnen mit ihm zu reden und ihn auffordern aus dem Exponat rauszukommen. Sie bezeichnen Ihn als Psychoten und drohen ihm mit der Todesstrafe durch Euthanasie. Da er sich weigert durch die „Schranke“ zu treten und zurück in die andere Realität zu kommen, kündigt Carnap, der mächtigste Mann des 22 Jahrhunderts, die langsame Vernichtung seines Exponates und der damit verbundenen Realität an. Miller beachtet diese Drohung nicht weiter, geht zurück ins Haus und findet dort die Tagszeitung auf dem Tisch mit den Schlagzeilen „Russland hat die Kobaltbombe, totale Zerstörung der Welt steht bevor“.

Was sagt uns diese Geschichte bzw. welche Elemente finden wir hier zu unserem Thema „Entropie“?

Es geht hier nicht wieder um die bekannte Frage „Was ist Real“ oder „Welche Realität ist real?“.

Es gibt in dieser Geschichte eine markante Stelle in der Miller seine Bandmaschine verlangsamt und zu träumen beginnt. Genau in dem Moment beginnen die Stimmen. Man könnte nun Mutmassen das er sich in eine Traumwelt, eine Phantasiewelt begibt die nur in seinem Kopf existiert.
Genausogut könnte man aber annehmen, daß er durch die akribische Arbeit und die totale Identifizierung mit der Vergangenheit eine neue Realität geschaffen hat – eine Realität nach dem Muster seiner Gedanken.

In jedemfall drängt hier eine Realität in eine andere Realität und entwickelt sich je länger sich Miller dort aufhält. Die neue Realität nimmt Gestalt an und gewinnt an Wahrscheinlichkeit auch real zu sein.
Miller nimmt beide Realitäten als an – er möchte von seiner Wunschrealität nicht mir zurück und scheinbar ist der Übergang so etwas wie eine Grenze die sonst niemand überschreiten kann, darf oder will.
Vielleicht können Carnap und seine Gehilfen in andere Realitäten eingreifen, wissen um die mögliche Existenz solcher Realitäten oder wollen einfach nur Träume verhindern um ihre Macht und Kontrolle nicht zu gefährden.

Ob nun die Realität tatsächlich real ist oder sich nur in seinem Kopf abspielt ist dabei nicht wirklich relevant – gibt eine solche Realität, kann es viele weitere Realitäten geben – viele Aufspaltungen und Varianten – womit wir wieder bei unserer „Entropie“ angelangt sind.
Eine andere Realität zu betreten bzw. zu schaffen vermehrt in jedemfall die Möglichkeiten, damit erhöht sich die Entropie und bei einer solchen Überlappung von Realitäten wie wir sie hier vorfinden, nimmt zwangsläufig die Entropie durch die Einwirkung von aussen wieder ab, da von beiden Seiten alles unternommen wird um die jeweils andere Realität zu negieren d.h. Miller will nicht mehr zurück und möchte die andere Realität nichtmehr betreten, Carnap möchte die andere Realität vernichten.

Interessant dabei ist zudem, dass hier nicht nur von möglichen Varianten der Gegenwart ausgegangen wird, sondern eine zeitlich versetzte Realität erzeugt wird – Zeit hängt ja mit Entropie direkt zusammen, da wir die Zeit in der Form messen, in der sich die Entropie ausdehnt (siehe Posting „Eine kleine Geschichte der Entropie“). Bezug wird hier auch auf die Spannungen zwischen USA und Russland genommen, die zu dieser Zeit sehr präsent waren. Die Kobaltbombe selbst ist wohl zu dieser Zeit eine Metapher für die absolute Zerstörung.

Kobalt-Bombe

Eine Kobaltbombe soll ein gebiet möglichst stark Radioaktiv verseuchen um das überleben außerhalb von Bunkern dauerhaft außzuschließen.Dazu müssen große Mengen natürliches Kobalt59 in eine Fissions oder Fusionsbombe verbaut werden.Durch den Neutroneneinfang wandelt sich das Kobalt59 in Kobalt60 um mit einer Halbwertzeit von 5,26 Jahren.Beim Zerfall imitiert Kobalt60 zwei Gamma-quanten die das Leben in der Umgebung stark gefährden. Es wurde nie bewiesen das eine solche Bombe gebaut wurde.

(Quelle: http://nuklear.wikia.com/wiki/Kernwaffe)

Was sagt uns das nun in Bezug auf Millers Realität?

Vielleicht manifestieren sich die Androhungen von Carnap in Form von Aufrüstung, kalter Krieg etc. in der Vergangenheit – vielleicht sind hier bereits die Vorkehrungen getroffen um Millers Realität damit langsam zu zerstören wobei hier eine Realität auf die andere Einfluß nehmen würde.

Quelle:
Dick, Philip K. (1987): “Ausstellungsstück” in: Das Vater-Ding, Sämtliche Erzählungen, Band 5 [2000], übers. von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel, Zürich, Haffmans Verlag, S. 248-268.


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